Höchster Schnüffler un´ Maagucker e.V.

Viertägiger Erörterungstermin!

Stempel
Vier Tage, am 21., 22., und 23. Februar und dann noch mal am 26. Februar, wurde über die gegen die von der Infraserv auf dem Gelände des Industrieparks Höchst geplante Großmüllverbrennungsanlage verhandelt. Der RP Darmstadt als Genehmigungsbehörde leitete in Person von Frau Bartke, die auch schon die Erörterung zur Erweiterung der Klärschlammverbrennung geleitet hatte, den Termin. Die Infraserv als Antragstellerin wurde von einer Riege von ungefähr 20 Personen mit Dr. Noichl an der Sitze vertreten. Auf Seiten der Einwender waren zeitweise deutlich über 100 Personen im Saal, was die große Betroffenheit der Bevölkerung noch einmal verdeutlicht hat. Für die Einwender waren Mikrofone im Saal aufgestellt, für die Vertreter der Stadt Kelsterbach, der Stadt Hattersheim und der Höchster Schnüffler un´ Maagucker waren sogar Tische mit Mikrofonen reserviert worden. Insgesamt war die Stimmung ruhig und sachlich, wozu Frau Bartke als Versammlungsleiterin mit ihrer Ruhe und Souveränität nicht unerheblich beitrug. Man kann sicher sagen, es kamen alle zu Wort. Entscheidender für uns ist aber natürlich letztlich, was kommt dabei heraus, wird die Anlage genehmigt oder nicht? Hier jetzt die wichtigsten Knackpunkte des Termins, aus denen wir herleiten, dass eine Genehmigung dieser Anlage die Lebensbedingungen in unserem Wohnumfeld erheblich verschlechtern würde, nicht in der Chronologie des Erörterungstermins, sondern in ihrer Wichtigkeit:

Stickoxide weit über Grenzwert!

Die Vertreter der Infraserv mußten zugeben, dass diese eine geplante Großmüllverbrennunsanlage mehr Stickoxide ausstoßen würde, als der ganze bisherige Industriepark Höchst zusammen! Dies ist besonders brisant, weil an der Messstation des Landes Hessens am Höchster Bahnhof derzeit bereits deutliche Überschreitungen des von der EU festgelegten Immissionswertes an Stickoxiden gemessen werden. Für das Land Hessen trug Dr. Büchen die neuesten Werte dieser Messstation vor: Entgegen allen Erwartungen und Versprechungen sind die gemessenen Werte im Jahre 2006 gegenüber 2005 sogar wieder angestiegen! Die von Infraserv beantragte zusätzliche Emission durch die geplante Anlage von 1,9μg⁄m³ ist weit über der sogenannten "Irrelevanzschwelle" der EU, die bei 1,2μg⁄m³ liegt. Infraserv argumentiert jetzt, dass man zwar 1,9μg⁄m³ beantragt habe, im realen Betrieb der Anlage aber nur weniger als 1,2μg⁄m³ emittieren werde. Wir glauben nicht, dass eine solche Argumentation von der Genehmigungsbehörde akzeptiert werden kann! Wenn die Infraserv wirklich niedrigere Werte einhalten kann, soll sie diese auch beantragen!
Zum Thema Stickoxide gibt es weitere Infos auf unserer Sonderseite über Stickoxide. Die dort angestellte Rechnung, dass die Anlage soviele Stickoxide emittieren würde, wie 114.000 PKW oder wie die Heizung von fast 200.000 Haushalten, wurde bestätigt!

Eisenschrott verrät: Der Müll ist nicht so sauber, wie behauptet!

19.000 Tonnen Eisenschrott pro Jahr werden als Abfall aus der Anlage in den Antragsunterlagen ausgeführt. Wir waren über diese große Zahl sehr verblüfft und fragten nach. Dr. Noichl erklärte für die Infraserv, es handele sich dabei z.B. um Kronkorken oder um in Holz eingedrehte Schrauben - d.h. der Eisenschrott stammt aus dem Brennstoff! Es handelt sich also gar nicht um so saubere, vorsortierte Plastikreste, wie bisher geschickt suggeriert worden war, sondern um ein wildes Gemisch verschiedenster Herkunft - das Wort "Ersatzbrennstoff" bekommt eine ganz neue Bedeutung!

Belastung der Abfälle ist nicht kontrollierbar

Die Infraserv weigerte sich trotz hartnäckigen Nachbohrens unsererseits vehement, darzulegen, wie der angelieferte Abfall auf seinen Schadstoffgehalt kontrolliert werden soll. Es wurde nur soviel deutlich: Bei einem neuen Lieferanten wird erst öfter kontrolliert, später weniger. Was immer das auch heißen mag, mehr Information war den Vertretern von Infraserv zu diesem Thema nicht zu entlocken! Der Müll wird auf LKW in loser Schüttung angeliefert und in einen großen Bunker gekippt. An Spitzentagen würde 16 Stunden lang alle 2 Minuten ein LKW ankommen und seinen Müll in den Bunker kippen. Keine Rede davon, wie man verhindert, dass dabei auch Müll eingeschmuggelt wird, der nicht in diese Anlage hineingehört! Etliche Einwender wiesen darauf hin, dass es eine "Müllmafia" gibt, die auch in der Vergangenheit schon bewiesen hat, wie skrupellos verbrecherische Elemente hochgiftigen Sondermüll umdeklarieren und zum Schaden von Umwelt und Menschen billig entsorgen. Die Anlage ist aber nur für die Verbrennung ungiftigen Mülls ausgelegt!

Abfallbeseitigungsplan des Landes Hessens wurde ignoriert

Die geplante Großmüllverbrennungsanlage taucht im Abfallbeseitigungsplan des Landes Hessen überhaupt nicht auf. Infraserv argumentiert, die Anlage sei ja auch keine Beseitigungsanlage, sondern eine Verbrennungsanlage. Rechtsanwalt Thomas Rahner, der für die Stadt Hattersheim und den BUND Hessen auftrat, setzte dem die gängige Rechtsprechung entgegen. Danach ist eine Anlage dann eine Verbrennungsanlage, wenn der Anlagenbetreiber den Brennstoff kauft, also Geld dafür bezahlt. In den Fällen, in denen der Brennstoff gegen eine Gebühr angenommen wird, handelt es sich aber eindeutig um Beseitigungsanlagen. Im Falle der Anlage der Infraserv liegt letztes vor, die Infraserv würde für die Beseitigung der Abfälle Geld von den "Lieferanten" bekommen, ein eindeutiges Indiz, dass hier eine Beseitigung vorliegt. Dann aber wären auch die Auswirkungen auf die anderen Beseitigungsanlagen in Hessen zu prüfen und der Abfallbeseitigungsplan relevant. Die Genehmigungsbehörde verhielt sich in diesem Punkt leider sehr zurückhaltend und zog sich auf den Standpunkt zurück, diese Frage sei im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens nach Bundesimmissionsschutzgesetz unerheblich. Es kann aber nicht sein, dass eine solch wichtige Frage überhaupt nicht geprüft wird, wenn nicht im Genehmigungsverfahren, wo dann?

LKW-Verkehr erheblich höher als erwaret!

Bisher waren wir anhand der Antragsunterlagen von 200 LKW am Tag ausgegangen. Im Erörterungstermin stellte sich aber heraus, dass dabei nur die Hinfahrten der vollen LKW gerechnet wurden, nicht aber die Rückfahrt der leeren LKW. In Wirklichkeit geht die Infraserv von 440 LKW-Bewegungen an normalen Tagen aus. Da an Sonn- und Feiertagen LKW-Fahrverbot auf Autobahnen herrscht, wurde der Bunker so groß konzipiert, dass er vorher gefüllt werden kann und die Anlage auch an Feiertagen weiterbetrieben werden kann. Das würde dann nach Infraserv rund 960 LKW-Bewegungen pro Tag an den Tagen vorher mit sich bringen. Der Bunker soll 16 Stunden am Tag angefahren werden können, das bedeutet dann an diesen Spitzentagen eine LKW-Bewegung von einem LKW pro Minute! Von vielen Einwendern im Saal wurde darauf hingewiesen, dass auf den Straßen rund um die Kelsterbacher Spange heute schon eine Staumeldung nach der anderen kommt und die Fahrzeuge in die Wohngebiete ausweichen. Ein LKW pro Minute macht sich auf einer staugefährdeten Strecke schon sehr deutlich bemerkbar! Einwender wiesen dann noch auf möglichen Schleichverkehr über die Strecke A5, Niederräder Abfahrt, Schwanheimer Uferstraße zur Anlage hin, hier wurde nur lapidar erklärt, dass dies nicht der Weg sei, auf dem die Anlieferung erfolgen solle.

Müll soll aus ganz Europa kommen

Infraserv mußte zugeben, dass der Müll für die Anlage nicht nur aus dem Rhein-Main-Gebiet und "Süd-West-Deutschland" (Originalton Infraserv) sondern auch aus Europa kommen soll. Dies ergibt sich auch zwangsläufig aus der Größe der Anlage. Zum Vergleich: in Gießen wird derzeit ebenfalls eine Anlage zur Verbrennungs der gleichen Müllfraktion geplant, wie in Höchst. Nur entspricht die Gießener Anlage nur einer Kapazität von 3,5% der Höchster Planung!

Stromversorgung durch die Müllverbrennung auch nicht sicherer

Seitens der Infraserv wird ja immer wieder behauptet, der Grund dafür, dass man sich gerade für Müll als Brennstoff entschieden hat, sei, eine Unabhängigkeit der Stromversorgung von Öl, Kohle und Gas zu gewährleisten. Es stellte sich aber heraus, dass die Anlage den in ihr erzeugten Strom gar nicht direkt zu den Betrieben des Industrieparks weiterleiten wird, sondern erst einmal in das Netz der RWE einspeist. Die Betriebe im Industriepark beziehen dann wiederum ihren Strom von der RWE. Wir fragten, was passieren würde, wenn es im Bereich der RWE zu einem massiven Strommangel kommen würde, z.B. durch einen schweren Störfall. Daraufhin wurde deutlich, dass dann natürlich nicht sichergestellt ist, dass der von der Anlage produzierte Strom dann auch den Betrieben des Industrieparks zur Verfügung steht, weil dies technisch gar nicht möglich wäre. Was die Preisgestaltung angeht, weigerte sich Infraserv, eine Aussage zu machen, es dürfte jedoch darauf hinauslaufen, dass die einzelnen Firmen weiterhin mit der RWE abrechnen müssen, also gar nicht davon profitieren würden, wenn Infraserv durch die Müllverbrennung einen besonders "billigen" Brennstoff (sie bekommen ja sogar Geld dafür!) zur Stromerzeugung nutzt. Übrigens ist im Industriepark Griesheim zur Erzeugung von Strom und Dampf ein wesentlich umweltfreundlicheres Gaskraftwerk geplant!

Umweltverträglichkeitsuntersuchung mangelhaft

Am letzten Tag des Erörterungstermins nahmen die Rechtsanwälte Thomas Rahner (für die Stadt Hattersheim und den BUND Hessen) und Heribert Fislake, der die Stadt Kelsterbach vertritt, die Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) auseinander, die der TÜV Rheinland für die Infraserv durchgeführt hat. Rechtsanwalt Rahner gab der Genehmigungsbehörde das Inhaltsverzeichnis der UVU der Anlage, die in Gießen geplant ist, zu den Akten. Obwohl die Höchster Anlage etwa die 30-fache Kapazität haben soll, wie die Gießener Anlage, umfaßt die UVU in Höchst nur 60 Seiten, die in Gießen aber ca. 200 Seiten! An vielen Einzelpunkten wurde dann deutlich, dass viele Themen in der UVU in Höchst gar nicht berücksichtigt worden sind. Seitens der Behörde wurde an einigen Stellen dann auch angekündigt, dass weitere Untersuchungen nachgefordert werden sollen, z.B. bei der Erhebung der von der Anlage betroffenen Tierarten. Der TÜV Rheinland ist uns Höchster Schnüfflern un´ Maaguckern übrigens schon seit langem recht leidvoll bekannt: er wird seit Jahrzehnten bei vielen Genehmigungsverfahren - früher durch die Hoechst AG, heute durch die Infraserv - beauftragt, hier besteht eine enge geschäftliche Beziehung. Wir gehen davon aus, dass die UVU erheblich nachgebessert werden muss, weil sonst ein Rechtsverstoß vorliegt, der vor Gericht keine Chance auf Absegnung erfahren kann.

Kelsterbach, Hattersheim und Sindlingen in ihrer Entwicklung betroffen

Wohnen in Sindlingen mit Blick über den Main direkt auf eine riesige Müllverbrennungsanlage mit vier 80m hohen Schornsteinen, jeder einzelne mit einem Mündungsdurchmesser von 2,5m (innen!), Wohnen in Kelsterbach in unmittelbarer Nachbarschaft dieser riesigen Anlage, Wohnen in einer Region, von der jeder weiß, dass hier Müll aus halb Europa verbrannt wird - eine Horrorvision! Immobilienpreise würden sinken, der Ruf der Region würde leiden. Es ist verständlich, dass die Städte Kelsterbach und Hattersheim sich schützend vor ihre Bürger stellen, Einwendungen erhoben und Rechtsanwälte beauftragt haben. Von der Stadt Frankfurt kam bisher leider gar keine Unterstützung, obwohl der Frankfurter Stadtteil Sindlingen ja stark betroffen ist. Dies wurde von vielen Einwendern mit Recht moniert.

Weitere Punkte

Für den, der betroffen ist, ist Lärm kein weiterer Punkt, sondern ein ganz gravierendes Problem. Ebenso ist es mit vielen anderen Themen, die in den vier Tagen des Erörterungstermins angesprochen wurden, hier jetzt aber nicht dargestellt werden können, weil wir es für wichtig halten, das Thema übersichtlich, verständlich und nachvollziebar darzustellen. Der Erörterungstermin hat noch sehr viel "Futter" für eventuelle Widerspruchsverfahren oder sogar Klageverfahren geboten. Es sei uns außerdem verziehen, wenn wir hier nicht jeden Trumpf preisgeben wollen, den wir noch auf der Hand zu haben glauben! Festzuhalten bleibt aber, dass wir nach dieser Erörterung optimistisch sind, die Anlage verhindern zu können - wichtig ist dabei natürlich, dass die bisher durch viele Menschen aus der Region gezeigte Unterstützung anhält!



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